2.Teil: Der friedliche Übergang
Wie kann es gelingen?
„Sag mal, Opa, für uns heute ist das logisch und einfach.
Und wir wissen, dass der Übergang friedlich verlief. Aber wie war das in der
Müllzeit? Die Menschen dachten damals ganz anders als wir. Wie konnte es
gelingen?“
„Es war kaum zu erwarten, dass die ganze Welt auf einmal ein
neues System einführt. Auch hätte kein Land im Alleingang aus den
wirtschaftlichen Verflechtungen aussteigen können. Es mussten Wege gefunden
werden, wie einzelne Länder innerhalb des bestehenden Systems gefahrlos
beginnen konnten.“
„Konnten sie stufenweise eine Natürliche Ökonomie des Lebens
einführen, ihre Volkswirtschaft sanieren und andere Länder zur Nachahmung
anregen?“
„Das war das Ziel, doch ganz einfach war das nicht.
Alle Nationen waren hoch verschuldet,
und die Staatsschulden stiegen von Jahr zu Jahr. Die Länder mussten mehr Geld
ausgeben als sie einnahmen. Einige Leute meinten, das läge am Zinssystem. Doch
das war nur die halbe Wahrheit.“
„Woran lag es dann?“
Ein Denkfehler im Steuersystem wird zur Chance.
„Wir fanden einen wesentlichen Denkfehler im damaligen
Steuersystem, den die Ökonomen übersehen hatten: Besteuert wurde immer der
Geldfluss! Ob Einkommen-, Umsatz- oder Verbrauchssteuern – immer sägte der
Staat am eigenen Ast.“
„Ist doch klar! Durch Geldfluss-Steuern wird der
wirtschaftliche Austausch ausgebremst.“
„Wir wissen das heute, Pia. Doch viele Ökonomen sahen den
Wald vor lauter Bäumen nicht! Und was machten die Länder, die mehr ausgaben,
als sie einnahmen und sich immer mehr verschuldeten? Sie versuchten Ausgaben zu
sparen und Einnahmen zu vermehren. Sie verringerten die staatlichen Leistungen
und erhöhten die Steuern. Was war wohl die Folge?“
„Wurde der Staatshaushalt verbessert?“
„Wenn überhaupt, dann nur kurzfristig! Langfristig hat er
sich immer verschlechtert. Dafür gibt es einfache Gründe.“
„Welche denn?“
„Höhere Steuern erhöhten die Preise. Es wurde weniger
gekauft. Die Leute versuchten alles selbst zu machen oder halfen sich mit
Schwarzarbeit. Die Industrie produzierte im Ausland. In jedem Fall entstand
volkswirtschaftlicher Schaden. Arbeitsplätze verschwanden. Der Staat hatte
weniger Einnahmen und mehr Sozialausgaben.“
„Und geringere staatliche Leistungen brachten auch nur
Nachteile. Die Lebensqualität sank. Die Wirtschaft hatte weniger Aufträge, was
weniger Steuereinnahmen zur Folge hatte. Vielleicht hätte man besser die
Steuern senken sollen?“
„Steuersenkungen hätten die Entwicklung nicht rückgängig
gemacht. Sie hätten kurzfristig zu noch geringeren Staatseinnahmen geführt.
Eine klassische Zwickmühle!“
„Und jetzt kam eure große Chance?“
„Ja! Hier war der Ansatz für die Natürliche Ökonomie, die
ohne Geldfluss-Steuern den Staatshaushalt sichert. Wir entwickelten einen Plan
zur schrittweisen Einführung der Natürlichen Ökonomie des Lebens.“
„Eine schrittweise Einführung?“
Klein anfangen...
„Unsere Herausforderung bestand darin, ein Projekt zu
entwickeln, das den damaligen Gesetzen entsprach und klein anfangen konnte. Es
sollte brennende Wirtschaftsprobleme auf regionaler Ebene lösen oder zumindest
lindern helfen. Die Teilnehmer sollten einen so großen Nutzen davon haben, dass
sie das Projekt gerne weiterempfehlen würden. Auf diese Weise könnte es zum
Selbstläufer werden und die Natürliche Ökonomie des Lebens durch
Mensch-zu-Mensch-Empfehlung verbreiten.“
„Eine große Herausforderung!“
„Wir analysierten die brennenden Wirtschaftsprobleme: Die
Gemeinden hatten kaum noch Geld. Notwendige Arbeiten blieben liegen, oder
wurden ehrenamtlich getan. Es gab sogar Bürgermeister, die ihre Arbeit
freiwillig ohne Bezahlung machten. Viele Menschen wurden unschuldig arbeitslos,
trotz ihrer Fähigkeiten, mit denen sie hätten Nutzen bringen können. Firmen und
Selbstständige hatten zu wenige Aufträge, obwohl sie gute Leistungen anboten.
Der Bedarf war zwar da, aber die Leute hatten nicht genug Geld.“
„Also habt ihr neues Geld gedruckt?“
„Nein! Natürlich konnten wir kein Geld drucken, Pia. Das
durften nur die Zentralbanken. Aber Rabatt- und Bonus-Systeme waren verbreitet.
So kreierten wir ein Rabatt-System, das wir »Gradido« nannten.“
„Und wie funktionierte das?“
„Jedes Mitglied des Netzwerkes bekam monatlich hundert
Gradido auf seinem Konto gutgeschrieben: »Gradido, weil Du bei uns bist!« Damit
konnte man zum Beispiel einen Rabatt bedanken, den man von einer Firma erhielt.
Diese konnte wiederum einen Rabatt bei ihren Lieferanten bedanken, ihre
Einkaufspreise senken, und so weiter.“
„Wenn man einen Rabatt von fünfzig Euro bekam, gab man dafür
fünfzig Gradido?“
„Im Allgemeinen ja! Manche gaben mehr, manche weniger, denn
der Ausgleich in Gradido war zunächst einmal freiwillig. Schließlich war der
Gradido damals noch kein staatlich anerkanntes Zahlungsmittel.
Auch nachbarschaftliche Hilfe konnte man bedanken: Herr A
mähte Frau B den Rasen. Dafür gab sie ihm Gradido. Herr A konnte nun Nachhilfe
für seinen Sohn bedanken. Jung und alt stärkten ihre sozialen Kontakte und
Netzwerke. Sie bekamen Spaß daran, einander zu helfen und zu danken. Ein neues
Wir-Gefühl entstand.“
„Und welchen Vorteil hatten die Gemeinden davon?“
„Gemeinden und gemeinnützige Institutionen konnten weitere
Gradido schöpfen um Bürgerschaftliches Engagement zu bedanken. Wichtige
Leistungen, die auf Grund leerer Kassen nicht mehr bezahlbar waren, konnten von
Freiwilligen Helfern erbracht werden, die damit in den Genuss vieler
Vergünstigungen kamen.“
„So konnten die Gemeinden Kosten sparen?“
„Ja, und als dann Bund und Länder einstiegen, wurde sogar
die Staatskasse entlastet.“
...und wachsen lassen
„Dann hat es bei den Politikern »klick« gemacht?“
„Oh ja! Bald fand sich eine Mehrheit für Gradido. Man
beschloss, den Gradido schrittweise als Währung neben dem Euro einzuführen.
Umsätze in Gradido waren steuerfrei, wie heute auch. Es begann mit zehn Prozent
Mindest-Gradido-Anteil. Das steigerten wir jährlich bis auf fünfzig Prozent. So
konnten sich alle langsam an die Natürliche Ökonomie des Lebens gewöhnen. Bei
eventuellen Problemen hätte man genug Zeit zum Gegensteuern gehabt.“
„Das heißt, nach fünf Jahren musste jeder Anbieter
mindestens die Hälfte aller Zahlungen in Gradido akzeptieren?“
„Stimmt. Damit waren alle Preise in Euro um mindestens die
Hälfte gesunken. Ebenso die Lohn- und Stückkosten. Die andere Hälfte wurde mit
Gradido bezahlt. Manche Anbieter akzeptierten sogar mehr Gradido, um besser ins
Geschäft zu kommen. Inländische Produkte wurden konkurrenzfähiger. Selbst
ausländische Anbieter begannen Gradido zu akzeptieren.“
Sanierung der Staatsfinanzen und Sicherung privater Vermögen
„Und der Staat?“
„Auch die Staatsausgaben in Euro sanken auf die Hälfte. Das Gute war, dass die Steuer-Einnahmen nicht
so schnell zurückgingen, da wegen der günstigen Euro-Preise mehr Umsätze
gemacht wurden. Die gestiegene Wertschöpfung erhöhte die Lebensqualität aller
Bürger. Aber das war noch längst nicht alles. Wir hatten uns nämlich
vorgenommen, die Staatsschulden in wenigen Jahren zu tilgen – natürlich in
Euro!“
„Die Staatsschulden in wenigen Jahren zu tilgen?“
„Ja! Dazu muss gesagt werden, dass die Welt mal wieder
mitten in einer Wirtschaftskrise steckte. Das Geldsystem drohte jeden Moment
zusammenzubrechen, denn das exponentielle Wachstum von Guthaben und Schulden
konnte nicht mehr lange weitergehen. Ob Börsencrash, Krieg oder Inflation –
irgendetwas würde mit großer Wahrscheinlichkeit passieren. Den Zeitpunkt kannte
niemand. Jeden Augenblick könnten die Menschen ihr Vermögen verlieren. Wir
suchten eine Möglichkeit, das Vermögen der Bürger zu sichern und gleichzeitig
Staatsschulden zu tilgen. Wir entwickelten den Vermögensumtausch, kurz VUT, eine
gegenseitige Verpflichtung, die beiden diente: dem Staat und seinen Bürgern.“
„Also wieder eine WIN-WIN-Situation!“
„Ja, Pia! Der Vermögensumtausch sah vor, dass ein Teil aller
Euro-Guthaben in Gradido umgetauscht werden musste. Der Prozentsatz steigerte
sich wieder jährlich in fünf Stufen. Nach fünf Jahren wurden von jedem Guthaben
fünf Prozent pro Jahr umgetauscht.“
„Haben die reichen Leute ihr Geld nicht ins Ausland
gebracht?“
„Dann wären sie nicht in den Genuss der Vermögenssicherung
gekommen, die der Vermögensumtausch vorsah: Bei einem Wirtschaftscrash würden
die zuletzt gemeldeten Guthaben festgeschrieben und im Laufe von zwanzig Jahren
in Gradido ausgezahlt. Damit war jedes Vermögen auf mindestens zwanzig Jahre
gesichert.“
„Nehmen wir an, ich hätte damals eine Million Euro gehabt.
Dann hätte ich jedes Jahr fünfzigtausend Euro in Gradido umtauschen müssen?“
„Genau!“
„Solange der Euro stabil war, nahm mein Euro-Guthaben also
ab?“
„Kommt drauf an. Clevere Geldanleger konnten ihr Geld für mehr
als fünf Prozent anlegen.“
„Und beim Geld-Crash?
„Der Wert des Gradido blieb bestehen, denn er wurde für
diesen Fall definiert: Zwanzig Gradido sind der Preis einer durchschnittlich
qualifizierten Arbeitsstunde.“
„Aha! Mein Euro-Vermögen wäre futsch gewesen. Ich hätte
jedoch zwanzig Jahre lang jedes Jahr fünfzigtausend Gradido bekommen. – Und von
wem?“
„Vom Ausgleichs- und Umwelt-Fonds.“
„Hätte ich mein Geld heimlich ins Ausland gebracht, dann
hätte ich nichts bekommen?“
„Richtig! Und da keiner wusste, wann es passiert, lohnte es
sich, ehrlich zu sein. Außerdem hatten die meisten Menschen den großen Vorteil
von Gradido erkannt: Mit Gradido kann man steuerfreie Geschäfte machen.“
Es hat geklappt!
„Und Deutschland wurde schuldenfrei?“
„Ja! Die vier Billionen Guthaben brachten jährlich einen
Vermögensumtausch von zweihundert Milliarden Euro. In wenigen Jahren waren alle
Staatsschulden getilgt.“
„Was sagten die anderen Länder dazu?“
„Die Welt reagierte anfangs skeptisch. Da aber der
Außenhandel weiterlief, fanden sich bald Nachahmer, die ebenfalls den Gradido
einführten.“
„Wie konnte der Außenhandel weiterlaufen?“
„Die Außenhandelspreise blieben gleich. Käufer aus dem
Ausland konnten entweder alles in Euro bezahlen oder einen Teil in Gradido. So
bekamen die Länder, die ebenfalls den Gradido eingeführt hatten, einen
Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen.“
„Dann müssten eigentlich alle Länder den Gradido eingeführt
haben.“
„Das taten sie auch nach und nach. Irgendwann kam dann der
große Finanz-Crash. Aber das interessierte niemand mehr so richtig, denn alle
waren ja bestens versorgt. Schließlich hatten wir überall Gradido und die
Natürliche Ökonomie des Lebens.“
– – – Ende – – –
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